22. Juni 2022

Der Stresstest zu Klimarisiken der Europäischen Zentralbank

Infolge der Verabschiedung des Pariser Klimaschutzabkommens und der UNO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 bemühen sich Regierungen auf globaler Ebene Fortschritte bei der Umstellung auf eine emissionsarme und kreislauforientierte Wirtschaft zu erzielen. Diese Umstellung birgt sowohl Risiken als auch Chancen für die gesamte Wirtschaft und für den Banken- und Finanzsektor, während sich der durch Klimawandel und Umweltzerstörung verursachte materielle Schaden empfindlich auf die Realwirtschaft und das Finanzsystem auswirken. Im zweiten Jahr in Folge hat die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrer Risikokonstellation im Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Risikomatrix) Klimarisiken als wesentliche Risikofaktoren für das europäische Bankensystem identifiziert. Infolgedessen führt die EZB 2022 erstmals einen aufsichtlichen Stresstest zu Klimarisiken durch. Xavier Scholten, Mitglied des Spuerkeess ESG Teams und Experte für Climate Finance bei Spuerkeess, gibt uns hier einen verständlichen Überblick über den jüngsten EZB-Stresstest zu Klimarisiken.

1. Xavier, welches Ziel verfolgt die EZB mit ihrem Stresstest für Klimarisiken?

Der branchenweit angelegte Klimastresstest der Europäischen Zentralbank fügt sich in eine lange Reihe früherer Initiativen zur Prüfung der klimabezogenen Krisenfestigkeit des Banken- und Finanzsektors seitens verschiedener europäischer und internationaler Institutionen (wie unter anderem der Nederlandsche Bank (DNB), der Banque de France (BdF) und der Bank of England (BoE)) ein. Die EZB beabsichtigt die Schwächen der bisherigen Initiativen zu berücksichtigen, indem sie unter anderem die Datenqualität verbessert und die Modellierung der Szenarien ergänzt. Darüber hinaus berücksichtigt die EZB in ihrem Klimastresstest erstmalig die Wechselwirkung zwischen physikalischen und transitorischen Risiken. Das Hauptziel des Klimastresstests besteht darin, die Widerstandsfähigkeit der Banken angesichts finanzieller und wirtschaftlicher Schocks infolge von Klimarisiken zu bewerten.

Hierzu wendet die EZB verschiedene Klimaszenarien an, die in Zusammenarbeit mit dem Network for Greening the Financial System (NGFS) entwickelt wurden. Diese Klimaszenarien beinhalten ein breites Spektrum an Daten zum Transitionsrisiko, zum physischen Risiko und zu den damit einhergehenden wirtschaftlichen und finanziellen Folgen. Jedes Szenario berücksichtigt eine Reihe unterschiedlicher Annahmen zur Entwicklung der zukünftigen Klimapolitik, dem Verlauf unterschiedlicher Emissionspfade und der Veränderung des globalen Temperaturanstiegs.

2. Warum hat sich Spuerkeess dem Test unterzogen?

Als Reaktion auf die globale Finanzkrise 2008 haben der EU-Rat und das Europaparlament die Europäische Zentralbank mit verschiedenen Aufsichtsfunktionen beauftragt. Die EZB erfüllt diese Aufgaben zusätzlich zu ihrer geldpolitischen Funktion. Die EZB beaufsichtigt somit direkt die 115 systemrelevanten Banken im Bankensystem des Euroraums. Die EZB führt im Rahmen ihres aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsverfahrens jährliche Stresstests bezüglich der beaufsichtigten Institute durch. Spuerkeess zählt zu den systemrelevanten Banken im Euroraum und nimmt demnach jährlich am EZB Stresstest teil. Wie bereits in der ersten Frage erwähnt, führt die Europäische Zentralbank in diesem Jahr einen Stresstest zu Klimarisiken durch, um die Auswirkungen der Klimarisiken über die nächsten 30 Jahre auf Spuerkeess und die anderen systemrelevanten Banken im Euroraum zu bewerten.

3. Was können Sie uns über die Vorgehensweise bei diesem Stresstest verraten?

Die Übung umfasst drei verschiedene Module:

(1) einen qualitativen Fragebogen zu der internen Stresstestfähigkeit der Banken in Bezug auf Klimarisiken,

(2) eine Bewertung der Expositionen der Banken bezüglich des Tranisitionsrisikos (Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle von Banken und ihre Beteiligung und Finanzierung von emissionsintensiven Unternehmen) und

(3) einen Bottom-up-Stresstest.

Um die Verhältnismäßigkeit des Tests zu gewährleisten, müssen kleinere Institute keine eigenen Stresstestprognosen durchführen. Folglich ist Spuerkeess als Modul-2-Bank verpflichtet, verschiedene Datentemplates einzureichen, welche die Module 1 und 2 sowie die Ausgangswerte von Modul 3 enthalten. Der offizielle Start des Klimastresstests mit der Veröffentlichung der offiziellen Methodik und der Templates erfolgte im Juni 2021. Die Umsetzungsphase der Datenerhebung begann am 7. März und umfasst 3 Übermittlungszyklen. Derzeit befinden wir uns im dritten und letzten Zyklus und wir haben die abschließenden Templates in der letzten Maiwoche bei der EZB eingereicht. Anschließend wird Spuerkeess im Juli einen individuellen Ergebnisbericht erhalten, außerdem sieht die EZB vor, die aggregierten Endergebnisse des Stresstests bis Ende Juli zu veröffentlichen.

4. Welche Erkenntnisse lassen sich schon jetzt aus dem Stresstest ziehen? Wo liegen die derzeitigen Stärken von Spuerkeess auf diesem Gebiet, und bei welchen Punkten erkennen Sie Verbesserungspotenzial?

Da der Klimarisikostresstest 2022 erstmals in dieser Form durchgeführt wird, handelt es sich vor allem um eine Lernerfahrung. Nichtsdestotrotz, erwartet Spuerkeess, dass solche Stresstests zu Klimarisiken zukünftig häufiger durchgeführt werden. Wir können bereits jetzt schlussfolgern, dass diese Tests neue Daten erfordern, die sich erheblich von herkömmlichen Finanzrisikodaten unterscheiden und welche heute noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Eine zukünftige Herausforderung besteht demnach darin, diese Daten bei unseren verschiedenen Stakeholdern zu erheben. Aufgrund der Tatsache, dass klimabezogene Stresstests ein Novum für den Finanzsektor darstellen, werden wir diese Übung dazu nutzen, unsere interne Stresstestfähigkeit zu verbessern sowie unserer Klima- und Umweltrisikomanagement zu erweitern. In diesem Sinne plant Spuerkeess seine Expertise zu den Auswirkungen von Transitionsrisiken auf bestehende Risikoparameter auszubauen. Darüber hinaus verfolgen wir das Ziel, lokale physische Klimarisiken und deren zukünftigen Folgen auf unser Immobilienportfolio präziser bewerten zu können.

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